Die “drei Verbote” der Wissenschaftssprache

Inwiefern unterscheiden sich die Wissenschaftssprache und die Wissenschaftskommunikation von der Allgemeinsprache bzw. der allgemeinsprachlichen Kommunikation?

Welche Merkmale sind für den wissenschaftlichen Diskurs typisch?

Um diese Fragen zu beantworten, sollen zunächst die Forderungen genannt werden, deren Einhaltung in der Wissenschaftskommunikation traditionell als obligatorisch gilt. Diese Forderungen sind grundsätzlich als Verbote oder einschränkende Gebote zu verstehen, die die Wissenschaftskommunikation von der allgemeinsprachlichen Kommunikation abgrenzen.

Weinrich (1989, S. 132-138) formuliert drei Verbote, die für die Wissenschaftssprache besonders kennzeichnend sind:

  • „Ich-Verbot“ oder „Ein Wissenschaftler sagt nicht ‚Ich‘“ – Das „Ich-Verbot“ betont ausdrücklich die Vermeidung des autorenbezogenen Ich und besagt, dass die Wissenschaft nicht persönlichkeitsabhängig sein darf;
  • „Erzählverbot“ oder „Ein Wissenschaftler erzählt nicht“ – Gemäß dem „Erzählverbot“ sollen die Erkenntnisse sachlich und präzise dargelegt werden, wobei „jedes narrative[…] Verhalten“ verweigert wird;
  • „Metaphern-Verbot“ oder „Ein Wissenschaftler benutzt keine Metaphern“ – Dieses Verbot besagt, dass „metaphorische (‚bildhafte‘) Sätze“ keine wissenschaftlichen Sätze seien und dementsprechend in Wissenschaftstexten nicht zu finden sein sollen.

Die tatsächliche Umsetzung dieser Verbote in die Wissenschaftskommunikation erweist sich als problematisch. Fraglich ist es auch, ob eine strikte Einhaltung dieser Verbote überhaupt erforderlich ist. Zum Beispiel wird in jüngster Zeit die Tendenz zu einem persönlicheren Wissenschaftsstil beobachtet, indem das Autoren-Ich immer häufiger in der Wissenschaftskommunikation verwendet wird.

Auch die Forderung nach der Ausschließung der Metapher aus der Wissenschaftskommunikation entspricht nicht der tatsächlichen Zusammenstellung des Fachwortschatzes vieler Disziplinen, der aus zahlreichen, auf metaphorischer Basis entstandenen Fachwörtern besteht.

In enger Verbindung mit den oben erwähnten Verboten stehen die spezifischen Anforderungen, die den wissenschaftlichen Diskurs charakterisieren. Polenz (1981, S. 85-86) spricht in diesem Zusammenhang von „idealtypischen Merkmale[n]“:

  • „[S]chreibbar[keit] bzw. [D]ruckbar[keit]“ und dementsprechend „[Z]itierbar[keit]“ zum Zweck der Einbeziehung auch abwesender Leser bzw. Rezipienten,
  • „[E]xplizit[heit]“ zwecks Vermeidung von Missverständnissen beim Rezipieren der Wissenschaftssprache bzw. des wissenschaftlichen Textes,
  • „argumentativ[er]“ Charakter zum Zweck der Vermeidung vom Überzeugen, Überreden oder Beeinflussen der Adressaten,
  • „konsistent[er], systematisch[er] und widerspruchsfrei[er]“ Charakter zwecks Ermöglichung eines „planvolle[…][n] und fehlerfreie[…][n] Arbeiten[s]“ aller Mitwirkenden,
  • „[Ö]konomi[…][e]“, d. h. möglichst viele und komplexe Sachverhalte mit möglichst wenigen Worten auszudrücken, zum Zweck des Ausschließens von „Zeitaufwand und Ablenkung“ der Rezipienten.

Die hier dargestellten Merkmale gelten als kennzeichnend für die Wissenschaftskommunikation. Dementsprechend sollen auch die wissenschaftlichen Texte diese Merkmale aufweisen, d. h. den in ihnen enthaltenen Forderungen gerecht werden.

So sind die wissenschaftlichen Texte in schriftlicher Form festzuhalten, um als ‚fixes‘ Produkt der Öffentlichkeit vorgelegt werden zu können. Mit der zunehmenden Entwicklung und Verbreitung der elektronischen Medien kann diese Forderung erweitert werden, indem die wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer fixen Form festzuhalten sind, sei es in schriftlicher oder elektronischer Form.

Des Weiteren sollen wissenschaftliche Texte keine inkonsequenten Aussagen enthalten. Dabei bemerkt Polenz (1981, S. 86), dass der genannte Anspruch auf Konsistenz und Widerspruchsfreiheit der Wissenschaftssprache die Forderungen nach „Wohldefiniertheit“, „Terminologisierung“ und präziser Zitierweise von Quellen mit einschließt. Schwanzer (1981, S. 215) spricht in diesem Zusammenhang von „Sachbezogenheit, Eindeutigkeit, Klarheit, Effizienz und Ökonomie“ als fundamentale Merkmale der Wissenschaftssprache.

Auch die Sprache ist in der Wissenschaft sparsam und rationell einzusetzen. Dabei geht es um die sogenannte sprachliche Ökonomie, das bedeutet, einen möglichst großen Informationsgehalt mit möglichst wenigen Worten auszudrücken. Polenz (1981, S. 86) schreibt dabei, dass die Tendenz zur Ökonomie einen „Nominalstil“ sowie die Verwendung von „Abkürzungen, künstliche[n] Symbole[n], Formeln, Diagramme[n]“, Tabellen und Abbildungen impliziert.

Beim Anstreben einer sprachlichen Ökonomie in der Wissenschaftssprache ist aber darauf zu achten, dass der wissenschaftliche Text immer noch verständlich bleibt. Die Botschaft soll zwar in einer knappen und präzisen Form ausgedrückt werden, sie soll aber auch plausibel und deutlich versprachlicht werden.


Buch Graphik Quellen:

Polenz, Peter von (1981): Über die Jargonisierung von Wissenschaftssprache und wider die Deagentivierung. In: Bungarten, Theo (Hrsg.) (1981): Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. München: Wilhelm Fink Verl., S. 85-110.

Schwanzer, Viliam (1981): Syntaktisch-stilistische Universalia in den wissenschaftlichen Fachsprachen. In: Bungarten, Theo (Hrsg.) (1981): Wissenschaftssprache. Beiträge zur Methodologie, theoretischen Fundierung und Deskription. München: Wilhelm Fink Verl., S. 213-230.

Weinrich, Harald (1989): Formen der Wissenschaftssprache. Jahrbuch 1988 der Akademie der Wissenschaften zu Berlin, S. 119-158.


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